Restaurationsepoche: Biedermeier, Junges Deutschland, Vormärz

Restaurationsepoche: Biedermeier, Junges Deutschland, Vormärz
Restaurationsepoche: Biedermeier, Junges Deutschland, Vormärz
 
Die Zeit zwischen der ausgehenden Klassik und Romantik und dem Beginn des Realismus wird in der Literaturgeschichtsschreibung meist als Übergangsepoche aufgefasst und mit unterschiedlichen Begriffen wie »Biedermeier«, »Junges Deutschland« und »Vormärz« charakterisiert. Doch können die Begriffe die Besonderheiten der Epoche keineswegs hinreichend erfassen. Dafür gibt es vor allem zwei Gründe: Einmal sind wichtige Werke der Romantik wie die späten Romane Tiecks, E.T.A. Hoffmanns oder Eichendorffs sowie Goethes Spätwerk erst in dieser Zeit veröffentlicht worden. Und zweitens lassen sich gerade die bedeutenden jüngeren Autoren der Zeit wie Mörike, Heine oder Büchner nicht unter die gängigen Schlagworte subsumieren, da ihre Werke eigenständig sind und nachfolgende Entwicklungen bereits vorweggenommen haben.
 
Wegen ihrer Vielfalt wird die Literatur in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts nicht durch stilistische Kategorien, sondern durch den Bezug auf politische Vorgänge charakterisiert, die sich im Begriff der »Restauration« bündeln lassen. Der Begriff kennzeichnet die monarchistische und partikularistische Politik jener 41 deutschsprachigen Staaten und freien Städte, die sich auf dem Wiener Kongress 1815 - unter der Führung des österreichischen Staatskanzlers Fürst von Metternich - zum Deutschen Bund zusammengeschlossen haben. Die Einzelstaaten blieben souverän und wurden absolutistisch regiert. Eine gemeinsame Verfassung und Gerichtsbarkeit gab es nicht. Mit den »Karlsbader Beschlüssen«, die 1819 auf Betreiben Metternichs gefasst wurden, sollten zugleich alle demokratischen und nationalen Bestrebungen unterdrückt werden. Beschlossen wurden die Überwachung der Universitäten, das Verbot der studentischen Burschenschaften, die Pressezensur und die Verfolgung der politischen Gegner. Die Literatur war von diesen Beschlüssen insofern betroffen, als die Schriftsteller die Auseinandersetzung mit der politischen und gesellschaftlichen Realität nun entweder ganz aus ihrem Werk verdrängten oder aktiv Stellung bezogen.
 
Die unpolitische Literatur der Zeit wird meist im Begriff des »Biedermeier« zusammengefasst. Das Wort tauchte erstmals in einer parodistischen Lyriksammlung mit dem Titel »Die Gedichte des schwäbischen Schulmeisters Gottlieb Biedermaier und seines Freundes Horatius Treuherz« (1855-57) auf und wurde nachträglich (mit veränderter Schreibung) auf die gesamte zeitgenössische Kunst und Lebensauffassung angewandt, um die Hinwendung zu Tradition, Bescheidenheit, Familie, Heimat und Natur zu kennzeichnen. Zwar waren viele bedeutende Vertreter der biedermeierlichen Dichtung weder intellektuell engstirnig noch regional festgelegt, doch orientieren sich ihre Werke vor allem an klassisch-romantischen Vorbildern wie Friedrich Rückert, August Graf von Platen, Nikolaus Lenau, Eduard Mörike, Annette von Droste-Hülshoff, Franz Grillparzer und Adalbert Stifter.
 
In seinem Roman »Die Epigonen« (1836) hat Karl Leberecht Immermann das Problem der Traditionsverhaftung dargestellt und als »Elend« charakterisiert. »Aber es geht mit geborgten Ideen«, so schreibt er, »wie mit geborgtem Gelde: Wer mit fremdem Gute leichtfertig wirtschaftet, wird immer ärmer«. Die Germanistik hat diese Auffassung für einige Autoren wie Mörike oder Stifter zwar relativiert, für die Literatur der Zeit insgesamt aber bestätigt, da die Werke der meisten Biedermeier-Autoren dem ökonomischen und sozialen Wandel, der seit den Zwanzigerjahren des 19. Jahrhunderts die Wirklichkeit rapide veränderte, nicht mehr gerecht werden konnten. Phänomene wie Bevölkerungsexplosion, Verstädterung, Massenelend und Industrialisierung, die mit der Erfindung von Papiermaschinen und Schnellpressen sowie der vermehrten Nachfrage nach Druckerzeugnissen auch die Arbeit der Schriftsteller prägten, brachten neue Themen und forderten neue Darstellungsweisen. Sie wurden von den Autoren des Jungen Deutschland zuerst realisiert und von den Autoren des Vormärz weitergeführt. Journalistische Sachprosa, Reisebericht, Zeitroman, Flugschrift, Manifest und politische Lyrik ergänzten zunehmend den von Klassik und Romantik geprägten Formenkanon.
 
Nachdem Ludolf Wienbarg, der erste Verfechter einer wirklichkeitsbezogenen Kunst, seine »Ästhetischen Feldzüge« von 1834 emphatisch dem »jungen Deutschland« gewidmet hatte, wurde der Begriff ein Jahr später vom Bundestag in Frankfurt, einem Organ des Deutsches Bundes, aufgegriffen, um die Verbreitung von Schriften einer solchen »literarischen Schule« im Sinne der »Karlsbader Beschlüsse« zu verbieten. Genannt wurden neben Wienbarg hier Heinrich Heine, Karl Gutzkow, Heinrich Laube und Theodor Mundt. Doch gab es eine entsprechende Gruppe mit einheitlicher Programmatik, klaren Zielen und regelmäßigen Kontakten nicht. Die Autoren, zu denen auch Ludwig Börne zu rechnen ist, verband eher das Interesse an politischen und sozialen Fragen, sodass sie bei Anhängern und Gegnern als Gemeinschaft aufgefasst wurden.
 
Heinrich Heine war schon zu Lebzeiten der bekannteste Autor der ersten Generation politischer Schriftsteller in Deutschland. Doch weist sein Werk über das Junge Deutschland weit hinaus. Populär wurde der 1797 geborene Jurist mit volksliedhaften, stark der Romantik verpflichteten Gedichten in seinem vielfach aufgelegten »Buch der Lieder« (1827) sowie den oft nachgeahmten »Reisebildern« (1826-31), in denen Lyrik, Zeitsatire, Stimmungsbilder und essayistische Darstellungsweisen vermischt werden. Durch seine Emigration nach Frankreich im Jahr 1831 wurde Heine zum Vermittler zwischen französischer und deutscher Kultur, fügte aber den politischen Forderungen der deutschen Oppositionsbewegung seine ästhetischen Ansprüche und die weiterführende Forderung nach einer »sozialen Revolution« hinzu. Er starb 1856 nach jahrelanger Krankheit isoliert in Paris.
 
Literarisch und politisch weit radikaler als Heine war der 1813 geborene Georg Büchner. »Nur ein völliges Missverkennen unserer gesellschaftlichen Verhältnisse«, so schrieb er 1836 als Medizinstudent über das Junge Deutschland, »konnte die Leute glauben machen, dass durch die Tagesliteratur eine völlige Umgestaltung unserer religiösen und gesellschaftlichen Ideen möglich sei«. Nachdem Büchner 1834 in seiner Flugschrift »Der Hessische Landbote« die später viel zitierte Forderung »Friede den Hütten! Krieg den Palästen!« erhoben hatte, wurde er zum steckbrieflich gesuchten Staatsfeind. Er floh nach Straßburg und wurde später Privatdozent für Medizin in Zürich, wo er 1837 mit 23 Jahren an Typhus starb. Zwei seiner Dramen ragen aus der Literatur der Zeit heraus, da sie auf den Realismus und die Moderne vorausweisen: »Dantons Tod« (1835), das die terroristischen Auswirkungen der Französischen Revolution behandelt, und die unvollendete Szenenfolge »Woyzeck«, in der die psychische und soziale Zerstörung des entrechteten Individuums dargestellt wird.
 
Seit 1840 forderten viele Schriftsteller nachdrücklicher als die Vertreter des Jungen Deutschland politische Veränderungen wie Pressefreiheit, nationale Einheit, eine Verfassung und die Verbesserung der Lebensverhältnisse für große Teile der in Armut lebenden Bevölkerung. König Friedrich Wilhelm IV. von Preußen hatte nach seiner Thronbesteigung im Jahr 1840 die Hoffnung auf einen Wandel durch anfängliche Liberalisierungen genährt, ließ aber bald Repressionen folgen, sodass viele Schriftsteller ihre Proteste verschärften. Zu ihnen gehören neben den Philosophen Ludwig Feuerbach, Karl Marx und Friedrich Engels die Lyriker Georg Herwegh, Ferdinand Freiligrath, Georg Weerth und August Heinrich Hoffmann von Fallersleben, dessen 1841 verfasstes »Lied der Deutschen« 1922 zur deutschen Nationalhymne erklärt wurde. Mit Bezug auf die revolutionären Bewegungen in den Staaten des Deutschen Bundes im März 1848, die zum Sturz Metternichs in Wien führten, werden die Texte als Vormärz-Literatur bezeichnet. Zwar lebten die meisten Autoren im Exil und waren untereinander zerstritten, konnten aber ihre agitatorischen Gedichte, Lieder und Schriften in Deutschland durch Anhänger verbreiten lassen, sodass sie ihren Beitrag zur Revolution leisteten. Wegen ihrer tagesbezogenen Aktualität sind die meisten Texte jedoch ohne Einfluss auf die Literaturgeschichte geblieben.
 
Dr. Detlev Schöttker
 
 
Schulz, Gerhard: Die deutsche Literatur zwischen Französischer Revolution und Restauration, Band 2: Das Zeitalter der Napoleonischen Kriege und der Restauration. 1806—1830. München 1983—89.
 Sengle, Friedrich: Biedermeierzeit. Deutsche Literatur im Spannungsfeld zwischen Restauration und Revolution 1815—1848. 3 Bände. Stuttgart 1971—80.

Universal-Lexikon. 2012.

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